Studie von TNS Emnid im Auftrag der Bertelsmann Stiftung
„90% der Bundesbürger wünschen sich eine neue Wirtschaftsordnung, in der der Umweltschutz einen höheren Stellenwert hat und die den sozialen Ausgleich in der Gesellschaft anstrebt.“
Befragt wurden nicht etwa Change Maker, Cultural Creatives oder Think Tanks – nein, es handelt sich um eine repräsentative Studie von TNS Emnid im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Hier scheint auch in der breiten Masse der Bevölkerung eine Bewegung in Gang zu kommen, die zwar in diesem Ausmaß noch nicht an der Oberfläche erkennbar ist, aber dennoch bereits in tieferen Bevölkerungsschichten angekommen ist. Hieraus ergibt sich eine neue, gesellschaftspolitische Ausgangssituation. Der Wunsch nach einer neuen Wirtschaftsordnung ist inzwischen Gemeinsinn geworden.
Die Gesellschaft braucht Wirtschaftswachstum, der Einzelne nicht !?
Die Aussagen zur Bedeutung und zu den Auswirkungen des Wirtschaftswachstums lassen erkennen, dass hier ein dynamischer Prozess im Gang ist, bei dem die Bürger über Jahre gelernte Paradigmen unserer Wirtschaftsordnung noch nicht ganz verabschiedet haben.
In der persönlichen Einschätzung ist allerdings klar erkennbar, dass diese Paradigmen unserer aktuellen Wirtschaft eben nicht – oder nicht mehr - vom Einzelnen nachvollzogen oder nacherlebt werden. So halten zwar weiterhin 9 von 10 Einwohnern Wirtschaftswachstum für sehr wichtig oder wichtig für die Lebensqualität der Gesellschaft. Gleichzeitig sind 61% nicht der Meinung, dass höherer Wirtschaftswachstum auch zur Steigerung der EIGENEN Lebensqualität führt.
Ja, zu wessen Gunsten geht denn dann unser, gebetsmühlenartig geforderter, Wirtschaftswachstum, möchte man hier einhaken.
Diese Meinung, dass mehr Wirtschaftswachstum nicht zu mehr persönlicher Lebensqualität führt, ist – im Gegensatz zu manchen Thesen von 68 – nicht verstärkt bei einer jungen, vermeintlich idealistischen, Bevölkerungsgruppe zu finden, sondern nimmt im Gegenteil mit zunehmendem Alter zu. So glauben noch 48% der 14-29-Jährigen daran, dass die Wirtschaft auch immer weiter gut wachsen muss, damit die persönliche Lebensqualität nicht auf der Strecke bleibt, dagegen sind bei den über 59jährigen nur noch 27% dieser Meinung.
Im Gegengensatz zu 68 scheint hier Lebenserfahrung und nicht idealistische Wunschträume die Basis des Wunsches bzw. Einsehens zu sein, dass die bestehende Wirtschaftsordnung so einfach nicht mehr taugt.
Wären auch heute junge „Revoluzer“ die Speerspitze dieser Stimmung, so würde man deren Ausläufer vermutlich überdeutlich wahrnehmen und wahrscheinlich würde die Bewegung polarsieren. Das Erstaunliche an dieser Studie ist, dass sie keine Polarisierung mehr in diesen Fragen zeigt. Die Bürger sind sich einig. Es liegt aber nicht im Wesen der Mitte der Gesellschaft, offen die bestehende Ordnung zu kritisieren oder gar aktiv etwas zu verändern. So schwelt eine Stimmung in der Mitte der Bevölkerung und es ist höchste Zeit, dass die Politik in großen Schritten der Stimmung hinterhereilt.
"Ich habe den Eindruck, dass Politik und Wirtschaft, bei all dem globalen Aufbruchswillen der vergangenen Jahre, zu wenig den Dialog mit den Menschen gesucht haben. Zu selten wird gefragt: Was braucht der Mensch? Wenn wir das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen wollen, müssen wir sie einbeziehen", so Liz Mohn, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung.
Bemerkenswert ist auch, dass für die Lebensqualität die Bürger in erster Linie Gesundheit (80%) , intakte Familie/ Partnerschaft (72%) und Selbstbestimmung (66%) als ausschlaggebend ansehen – das „Mehren von Geld und Besitz“ folgt abgeschlagen mit 12%.
Die einzelnen Aussagen der Studie sind es wert, vollständig nachgelesen zu werden (hier).
Im Westen nix Neues!
Noch etwas drastischer als Liz Mohn formulierte es schon 2007 Heiner Geissler, in jenem gerne erinnerten Auftritt als Talkgast bei Maybritt Illner. (Damals auch mit einem sich in Politik versuchendem Campino) "Das Wirtschaftssystem diene ausschließlich Kapitalinteressen ....lasse die Interessen von Mensch und Natur unberücksichtigt. ... Ein solches System sei auf Dauer unhaltbar, da weder konsensfähig noch demokratisch...".
75.000 $ reichen zum glücklich sein
Die Forscher Angus Deaton und der Wirtschaftsnobelpreisträger des Jahres 2002, Daniel Kahnemann, von der amerikanischen Universität Princeton kommen in Ihrer Studie über den Zusammenhang zwischen Einkommen und glücklich sein zu ähnlichen Ergebnissen wie die Emnid Studie. Geld macht nur bis zu gewissen Grenzen glücklich. Bei 75.000 Dollar, oder umgerechnet 5.000 € netto/ Monat liegt ihrer Meinung nach diese Schwelle. Nach dieser Schwelle schätzen die Menschen bei einer Einkommenszunahme zwar ihr Leben als besser ein, aber empfinden dabei weder mehr Glück noch weniger Stress.
Das Dumme ist nur, dass in Deutschland über 90% der Haushalte nach der aktuellen Media Analyse keine 5.000 € netto im Monat erreichen. Vielleicht ist das der Grund, dass trotz des medialen Jubels für die Erkenntnis dieser Studie, - z-B. auf Bild Online - die Zahl derjenigen, die bei diesem Artikel den facebook "gefällt mir" - Button klicken mit nur neun, ziemlich gering ausfällt...
14.09. ok, wir überprüfen auch unsere eigenen Aussagen, denn in den letzen 8 Tagen haben weitere 64 Personen den Artikel auf Bild Online mit "gefällt mir" markiert. Mit den Schlagworten Glück, Studie, 75000 erhält man inzwischen über 10.200 Treffer auf Google. Das mediale Interesse für Glücksstudien ist also nach wie vor sehr groß.